All night by the rose…

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Ich bin keine Künstlerin. Ich habe nicht den Blick einer Künstlerin auf Kunst. Als momentane Redaktionsleiterin der Schülerzeitung sollte ich dennoch am Freitag bei den letzten Schritten eines künstlerischen Entstehungsprozesses teilnehmen. Und nicht irgendeines Projekts, sondern des Abschlussprojekts des Kunst-LKs 12 von Herrn Rischke. Zu dem Zeitpunkt dachte ich, ich wüsste ungefähr, was mich erwartet: Die schwarzen Rechtecke und die Bretter waren schließlich bereits angebracht und dass darauf wohl Skulpturen stehen sollten, war klar. Ich habe also freimütig zugestimmt. Was könnte denn so schwer daran sein, ein paar Skulpturen, vielleicht die Hintergedanken der Künstler:innen und am Ende den Gesamteindruck, den das Werk auf mich hat, zu beschreiben. Einfach, simpel, definitiv an einem Wochenende so zu schaffen, dass ich auch noch etwas von meinem Wochenende haben würde.

Und jetzt bringe ich keinen vernünftigen Satz zu Papier. Das ist mein vierter Anlauf. Ich weiß nicht, wie ich das Werk beschreiben kann. Oder den Entstehungsprozess. Oder die Wirkung, die das Ergebnis auf mich hatte. Ich bin keine Künstlerin. Aber ich dachte, dass ich zumindest als „Journalistin“ die Fähigkeit dazu hätte, meinen Gefühlen und Eindrücken Ausdruck zu verleihen.

Ich kann aber nicht beschreiben, wie mich die filigranen Züge des Körpers, die sorgsam geformten Rosenblätter, den mit Dornenranken umschlungenen Menschen bewegten. Wie die Leidenschaft, die Hingabe der Künstler:innen mich auf einmal ansteckten. Wie sie mir davon erzählten, dass sie lange nicht wussten, was ihr Abschlussprojekt werden sollte und dann Mareike mit dem Gedicht kam. All night by the rose. In keiner meiner DE-LK Klausuren, nicht mal im Unterricht habe ich mich jemals so intensiv mit einem Gedicht beschäftigt. Wohlgemerkt einem Gedicht, das gerade mal vier Verse umfasst. Und aus diesen vier Versen wurde dann „das“.

Eine eigene Interpretation, die „Bildatlasse“ , die vielen Überlegungen über die Umsetzung im Vorhinein. Selbst Herr Madanz hatte mitgewirkt, indem er die Ablagen, auf denen nun die Skulpturen ruhen, baute.

die „Bildatlasse“ als visuelle Recherche; Foto: Elsa Schätz © 2023

Jede:r der Anwesenden an diesem Freitag konnte das Gedicht auswendig, wusste, was in den vier kleinen Versen steckte. Jede:r hatte seinen eigenen Zugang dazu entwickelt, der in der Skulptur zum Ausdruck kommt. Und irgendwie dem/der Betrachter:in des Werks dennoch verschlossen bleibt.

das Gedicht, die Anordnung und Namen der Künstler:innen, Foto: Elsa Schätz © 2023

Die Umsetzung war an diesem Tag allerdings noch nicht abgeschlossen. Frei heraus wurde noch überlegt, welche Schrift, Schriftgröße, was für Farbe, was für Kleber man benutzen sollte. Bei strömendem Regen fuhr Gustav nochmal mit seinem Fahrrad los, um Spraydosen zu holen. Für den einen anarchischen Akt, den das Werk einschließt. Denn die vier Verse sollten an der Säule nahe dem Treppenaufgang zum oberen Foyer klar zu erkennen sein; man brauchte also große Buchstaben und mehr rote Farbe als gedacht. Sorgfältig wurden die einzelnen Verse Wort für Wort, Buchstabe für Buchstabe mit Tape abgeklebt, auf jede Seite der Säule ein Vers. Die Skulpturen wurden aufgestellt, festgeklebt, positioniert. Und schließlich voller Spannung die Säule mit roter Farbe besprayt. Der Moment, in dem das Tape wieder abgezogen wurde, war so voller Spannung, dass ich auf einmal die Luft anhielt und da erst merkte, wie sehr mich diese Entstehung nun doch ergriffen hatte.

im künstlerischen Chaos während des Arbeitsprozesses; Foto: Elsa Schätz © 2023

Dabei gab es vorher Phasen, in denen man sich voller Stolz über sein Werk äußerte; man Zweifel hegte, ob der/die unbekannte Autor:in vielleicht doch etwas anderes meinen könnte als man selber es verstanden hatte. Es wurde Kaffee getrunken, im Regen unter einem Baum ein Blatt mit roter Farbe angesprüht, die „Bildatlasse“ betrachtet, über den Entstehungsprozess sinniert, in einvernehmlichem Schweigen Buchstaben geklebt. Zu Anfang fühlte ich mich als Eindringling in einem intimen Moment des Abschieds. Abschied von der Schule, von den Lehrer:innen, vom Gebrüder-Montgolfier-Gymnasium. Dabei nahmen sie so einiges mit: Man solle offen bleiben, Neues ausprobieren, auch mal mit dreckigen Farben arbeiten. Je länger ich allerdings dabei saß, mich etwas unnütz fühlte und schweigend den Künstler:innen bei der Arbeit zu sah, desto mehr fieberte ich auf einmal auch mit.

Nie werde ich an einem solchen Entstehungsprozess nochmal beteiligt sein. Denn ich bin keine Künstlerin. Deshalb war ich vermutlich auch nicht darauf vorbereitet von der Leidenschaft, dem Herzblut und der Hingabe dieser Leute so angesteckt zu werden, dass ich am Ende selber voller Stolz auf das vollendete Werk und die Künstler:innen blicken würde.  Ich kann schließlich nicht sagen, was für mich das Werk ausdrückt; ich möchte ihm außerdem nicht meine Interpretation aufzwingen, deshalb lasse ich es so stehen, wie es ist und kann nur jede:n dazu auffordern, vielleicht demnächst kurz innezuhalten, sich Zeit zu nehmen und die Skulpturen und Verse im Foyer genauer zu betrachten. Um dennoch mein Empfinden in einer geeigneten, nicht allzu aufdringlichen Weise auszudrücken, möchte ich dem letzten Satz aus meinen Notizen, einem Zitat von dem Tag, zustimmen: „Ich glaube, das wird schon krass, was wir da machen.“  

All night by the rose, Foto: Elsa Schätz ©2023

-Elsa