Ein Museum, das die Luft zum Atmen nimmt

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Suppe. Menschen sind keine Suppe. 

Eine Suppe sollte eine homogene Masse sein. Ein Volk kann das nicht. Menschen sind immer vielfältig. Indem ich einer bestimmten Menschengruppe einen Stempel aufdrücke, verleugne ich deren Individualität. Das ist ein Verbrechen an der Menschlichkeit und damit eine Gefährdung unserer Demokratie. Antisemitismus, Rassismus, Sexismus, Fremdenfeindlichkeit: Alles antidemokratisch. Alles falsch. 

Das ist der Kern dessen, was mir die Dauerausstellung des Jüdischen Museums in Berlin klarmacht. 

Beklemmung, Angst, Fluchttrieb. „Raus“- ist das erste, was ich denke, als ich in das Untergeschoss abtauche. Schmale, lange Gänge, die ins Unendliche zu verlaufen scheinen. Schiefe Wege, immer wieder Löcher in den Wänden. 

Hier werden Geschichten erzählt. Geschichten, die stellvertretend für sechs Millionen Menschenleben stehen. Aber ich kann mich nicht darauf einlassen. Ich weiß, was mir der Museums-Architekt Daniel Libeskind sagen wollte. Aber mir gefällt’s nicht. Die Wände scheinen näher zu rücken und bei mir setzt der Fluchttrieb ein. 

Hat es sich so angefühlt, für die verfolgten Juden? Von überall Hass? Von Menschen entmenschlicht. Ich kann die Ausstellung nicht genießen, weil die Architektur mich so einengt und mir die Luft zum Atmen nimmt. Ich renne förmlich nur durch, um dem Gefühl von Verfolgung zu entkommen. 

So müssen sie sich auch gefühlt haben. 

In einem der oberen Stockwerke werden die Maßnahmen der Nationalsozialisten gegen Jüdinnen und Juden vorgestellt. Meine Augen fliegen nur über die einzelnen, hasserfüllten Paragrafen. Ich kann das alles nicht ertragen. Warum? 

Dann bleibe ich kurz stehen. Fotos auf einer weißen Wand. Fotos von öffentlichen Gebäuden, Geschäften, Privatgrundstücken, einem Dorfeingang. Immer das gleiche Schild in jedem Bild: „Juden sind hier nicht willkommen.“ 

Ich bin fassungslos. Dem ist nichts hinzuzufügen. Ich kann dem nichts hinzufügen. Ich kann dem nichts anderes entgegenbringen als Fassungslosigkeit und Ablehnung. 

Ich gehe um die nächste Ecke. Vor mir mehrere Bildschirme, aus denen mich muntere Kinderaugen anblitzen. Sie erzählen mir, welche ihre Lieblingsfeiertage sind. 

Sehen Antisemiten etwas anderes als ich? Diese Menschen: Erkennen sie nicht, dass das ein Kind ist; ein Mensch wie jeder andere auch? Wie kann man dann noch so etwas sagen wie: „Juden sollte man eine runterhauen dürfen“ – ein Satz, dem in sozialwissenschaftlichen Umfragen immer noch zu viele Menschen zustimmen. 

Die Ursachen von Antisemitismus liegen nicht im Judentum, sondern bei denen, die diesen Hass verbreiten. Gesellschaft muss zeigen, dass sie das nicht akzeptiert. 

Eine Aussage wie die obige ist gefährlich. Sie zeugt nicht nur von einem Leck an Aufklärung und emotionaler Intelligenz, sondern verherrlicht zudem noch Gewalt. Sie ist antidemokratisch, staatszersetzend. In unserer jungen Demokratie können wir solche Aussagen unmöglich unkommentiert stehen lassen.

Ich kann aber nichts Neues sagen oder schreiben; alles wurde bereits gesagt. Jetzt kann man nur noch handeln. Sachlich und konstruktiv.

Dass die Mehrheit der Menschen Antisemitismus ablehnt, zeigt, dass unsere Erinnerungskultur funktioniert. Die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen hat ihren Sinn erfüllt. 

All jene, die es jetzt noch nicht verstanden haben, weil sie es nicht verstehen wollen, können wir auch nicht mehr abholen. Wir müssen so weitermachen wie bisher und konsequent dagegen aufstehen. Es reicht nicht aus, leere Worthülsen zu wiederholen. „Nie wieder ist jetzt“: was bringt es, das einmal im Jahr zu skandieren?

Haben wir nicht längst verstanden, dass Menschen vielfältig sind? Dass wir in einer pluralistischen Gesellschaft leben?  Die Antisemiten in unserer Gesellschaft dürfen jetzt nicht die Oberhand gewinnen. Eines der größten Menschheitsverbrechen, einer der größten Völkermorde, die Schoa, liegt hinter uns; dem müssen wir gedenken. Reines Gedenken schützt allerdings nicht davor, dass so etwas wieder passieren könnte. Uns in Sicherheit zu wiegen, weil wir weiterhin in Freiheit leben und unsere Privilegien genießen, wäre falsch. Wir würden damit den Fakt ignorieren, dass Hass sich weiter verbreitet. Unsere Demokratie ist bedroht; wir müssen sie jetzt verteidigen!

Elsa (entstanden im Zuge des Jugenpolitiktages in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung unter Anleitung durch meinen großartigen Workshopleiter Jochen Markett)